Bei dem Begriff „Trauma“ denken wir an massive Ereignisse wie Krieg, Vergewaltigung, Geiselnahme, Raubüberfall etc. Doch viel verbreiteter als solche einmaligen traumatischen Erlebnisse sind subtil prägende Lebens- und Beziehungserfahrungen in der frühen Kindheit, die uns innerlich (ver)formen und die oft erst viel später im Leben ihre Wirkung zeigen. Es handelt sich um Entwicklungs- und Bindungstraumata sowie Traumatisierungen unserer Identität.
Insbesondere diese frühen Verletzungen beherrschen unser Leben, ohne dass wir es wissen. Alle Erfahrungen, die wir in unserer Kindheit und sogar vorgeburtlich machen, haben Auswirkungen. In der frühen Kindheit erhalten wir unsere Lebens-Prägungen. Diese frühe Lebenszeit ist das Fundament, auf das unser späteres Verhalten und Erleben und damit unser ganzes Leben aufgebaut ist. Unsere ersten Erfahrungen haben Einfluss auf die Entwicklung unseres Nervensystem, unseres Immun- und Hormonsystems, sowie unsere Sicht auf die Welt. Hier wird der Grundstein dafür gelegt, wie wir uns selbst wahrnehmen und empfinden und wie wir in die Welt gehen.
Symptome auf körperlicher Ebene wie Migräne, chronische Schmerz- und Entzündungsprozesse, Hautkrankheiten oder Allergien, genauso wie psychische Erkrankungen: Depressionen, Ängste, Bindungsstörungen, mangelnder Selbstwert, Lern- und Konzentrationsstörungen, Essstörungen, Schlafstörungen, Süchte, Persönlichkeitsstörungen, Identitätsunsicherheiten, sind sehr häufig Spätfolgen von frühen Traumatisierungen.
Was uns Menschen traumatisiert, hängt mit unserem Altern und unserer Verfassung zusammen. In lebensbedrohlich empfunden Stresssituationen, stehen uns aus unserem biologischen Erbe folgende Reaktionsmuster zur Verfügung: Kampf, Flucht oder Totstellen (fight-flight- oder freeze response) . Fühlen wir uns stark genug, kämpfen wir, sehen wir eine Möglichkeit zu entkommen, flüchten wir. Wenn weder Kampf noch Flucht eine realistische Option darstellen, gehen wir in die Erstarrung. Der Totstellreflex geht einher mit dem Gefühl absoluter Hilflosigkeit und Ohnmacht. In dieser Stressreaktion gibt der Körper Vollgas und der Trauma-Notfallmechanismus legt eine Vollbremsung hin. Wir stehen mit einem Bein auf dem Gaspedal, mit dem anderen auf der Bremse. Die Lösung dieses Dilemmas ist die Aufgabe der Einheit von Körper und Psyche. Wenn in den lebenden Organismus, bildlich gesprochen der Blitz einschlägt, wird er zur Spaltung gezwungen. Die Psyche zerfällt, fragmentiert und wird durch Spaltungsprozesse weiter aufrechterhalten. Dieser Vorgang sicher das Überleben, bindet allerdings viel Energie – wir sind nicht wirklich bei uns und in unserer Kraft.
Unsere Fähigkeit zur Selbstregulationen, die Verarbeitung von Stress wird durch Trauma sehr eingeschränkt. Je kleiner wir sind, desto weniger Einfluss haben wir auf die Ereignisse die auf uns einströmen. Gerade am Anfang unseres Lebens, bleibt uns als Strategie nur die Möglichkeit der Spaltung.
Der Trauma-Anteil beinhaltet, je nach Art des Traumas, die Gefühle von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Angst und Schmerz, die in der bedrohlichen Situation nicht zu bewältigen waren und daher abgespalten wurden. Er verursacht unbewusste Konflikte und wiederholt Situationen, die an die traumatisierende Situation erinnern. In Form von Panikattacken, plötzlichen Wutausbrüchen und kurzen, aber meist heftigen Weinkrämpfen, Scham – und Ekelgefühle kann er sich manifestieren. Er kommt oft auch in körperlichen Symptomen zum Ausdruck. Die Verbindung zu diesen Zuständen und Erregungsmustern werden unterbrochen, gekappt, betäubt oder eingefroren. Sie werden innerpysisch in einen Kokon des Vergessens einzuhüllen versucht, was jedoch nur mehr oder weniger gelingt.
Eine traumatisierte Psyche kann nicht unterscheiden zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen innen und außen, kann nicht klar trennen von Ich und die anderen. So werden zum Beispiel längst vergangene Ereignisse emotional erinnert, als ob der Schrecken im Augenblick stattfindet (Flashbacks). Nicht verarbeiteter Stress wird im Hier und Jetzt reaktiviert, wenn aktuelle Themen ähnliche Emotionen wachrufen. In solchen Situationen fühlen wir uns – wie einst, hilflos ausgeliefert und verlieren jeglichen Handlungsspielraum.
Der Überlebens-Anteil ist der Schutzmechanismus der Psyche, der in der traumatisierenden Situation das Überleben gesichert hat. So groß sein Nutzen in dieser bedrohlichen Situation ursprünglich war, steht er nun der Auflösung des Traumas am meisten im Weg, da er die vergangene Bedrohung immer noch für real hält. Der Überlebens-Anteil entwickelt daher komplexe Strategien zur Verdrängung der Trauma-Anteile, die von kontrollierendem Verhalten, Verleugnung und Sucht über esoterische Heilslehren bis zur gewaltsamen Unterdrückung anderer Menschen reichen.
Unser Überlebenswille ist so stark, das der Schmerz vom fühlenden Bewusstsein abgespalten wird. Die Spaltung bleibt bestehen, auch wenn die Gefahr schon längst vorüber ist.
Gesunde Anteile: Trotz der Spaltung gibt es nach wie vor den Bereich der gesunden Körperreaktionen und gesunde psychische Strukturen: Wille zur Wahrheit und Klarheit, Wunsch nach gesunden Beziehungen, Eigenverantwortlichkeit, Realitätsbezug, Willensstärke, Vertrauen, Selbstbewusstsein, Bereitschaft zur Anerkennung traumatischer Erfahrungen, etc.. Nur mithilfe der gesunden Anteile eines Menschen können traumatische Gefühle wieder integriert werden.
Durch diese Spaltung werden unsere Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen eingeschränkt. Um die Spaltung aufrecht erhalten zu können, benötigt der Körper viel Energie, die uns für die täglichen Stoffwechselprozesse nicht zur Verfügung stehen. Kommen noch weitere Faktoren dazu, ist unser System überfordert. Körperliche und psychische Symptome stellen sich ein.
Zudem wirken sich nicht integrierte Traumata auf alle unsere Beziehungen aus: Liebesbeziehung, Eltern-Kind Beziehungen, Freundschaften und Arbeitsbeziehungen.
In der Psychotraumatherapie nach Prof. Dr. Franz Ruppert stehen die traumatischen Ereignisse einer Familie im Mittelpunkt. Das Ziel ist es, psychischen Spaltungen und symbiotischen Verstrickungen sichtbar und fühlbar zu machen.
Die emotionale Integration von unbewussten oder verdrängten Erfahrungen stabilisiert und führt Sie Schritt für Schritt in eine gesunde Identität. Die Herausforderungen des Lebens werden bewältigbar, destruktive Beziehungsmuster verbessern sich. Körperliches, und psychisches Wohlbefinden stellt sich ein.
Wir sind nicht mehr nur im Überleben, sondern können uns in unserer ganzen Lebendigkeit und mit allen unseren Gefühlen wahrnehmen. Wir müssen nicht mehr uns gegenüber, oder anderen Menschen gegenüber in einer Täter- oder Opferhaltung verharren. Wir übernehmen Verantwortung, dort, wo wir selbst zu Tätern wurden und sind im Mitgefühl mit unserem eigenen Opfersein.
Sehr gut bildlich kann man sich diese Mechanismen mit Hilfe einer Matroschka vorstellen. Bei einer Traumatisierung entsteht bei Spaltung jeweils ein neuer innerer Anteil. Dieser bleibt aufgrund der Abspaltung auf der Entwicklungsstufe zum Zeitpunkt des traumatischen Geschehens stehen. So bildet sich in unserer Psyche quasi ein Kabinett an unterschiedlich entwickelten Anteilen. Je nach Auslösereiz, werden Bilder, Gefühle und Gedanken aus der Ursprungssituation aktualisert, sie überfluten den betreffenden Menschen und setzen die ursprüngliche Notfallreaktion erneut in Gang. Zum Stress des aktuellen Anlasses, addieren sich alte nicht verarbeitet Emotionen. Eine souveräne erwachsene Reaktion ist in so einer emotional verstrickten Situation nicht möglich. Erst wenn sich die Gefühlsüberflutung wieder gelegt hat, sind wir wieder handlungsfähig.
Traumatische Verarbeitung heißt, dass ein Ereignis nicht oder noch nicht angemessen verarbeitet werden konnte. Unsere Psyche war bisher noch nicht in der Lage, das Erlebte „ordentlich ins Regal zu stellen“. Das dadurch entstandene Chaos macht großen inner-psychischen Stress, welcher sich in verschiedenen Symptomen bemerkbar macht.
Oft ist der betroffene Mensch in einzelnen Lebenssituationen sehr funktionsfähig und erfolgreich, doch immer wieder, vielleicht auch ganz versteckt, gibt es Situationen, in denen nichts mehr geht. Nicht aushaltbare Gefühle überschwemmen völlig unkontrolliert die Wahrnehmung. Starke Überlebensstrategien verhindern, dass die Umwelt dieses Gefühlschaos mitbekommt. Nur nahe Angehörige, Partner und Familie wissen um die psychische Labilität. Je nach Temperament und Situationen reagieren traumatisierte Menschen entweder völlig außer sich, in sich zurückgezogen, aggressiv, weinerlich oder so emotionslos, dass sie wie Roboter wirken. Im nächsten Moment kann das wieder vorbei sein.
Posttraumatische Belastungstörung bedeutet, dass jemand immer wieder in alte, nicht verarbeitete Situationen und Gefühlen rutscht. Die ursächlichen Zusammenhänge sind bei Entwicklungs- und Bindungstraumate in der Regel nicht bewusst. Um das Überleben damals zu sichern, wurden die als existenziell bedrohlich erlebten Situationen abgespalten und verdrängt. Da sich diese Strategie bewährt hat, griff der Organismus immer wieder auf diesen Mechanismus zurück. Dadurch entstanden immer neue psychische Spaltungen, weil wir es „gelernt“ haben, in schwierigen Situation zu „spalten“ und zu dissoziieren. Auf diese Weise schützen wir die Täter, werden möglicherweise selbst zu Tätern und verleugnen so unser eigenes Opfersein.
Wenn wir ein Kind traumatisierter Eltern sind, dann mussten wir uns psychisch spalten. Das ist eine Notfallreaktion auf die wir keinen Einfluss hatten und die unser Überleben gesichert hat. So, wie auch unsere Eltern durch Spaltung ihr Überleben sicherten. Warum? Traumatisierte Menschen sind in ihren Gefühls – und Verhaltensmustern unberechenbar, die Palette geht von emotional nicht anwesend, bis in höchstem Maße übergriffig und aggressiv. Mitunter können diese Gefühlszustände schlagartig und in nicht vorhersehbarer Weise wechseln. Kinder entwickeln sehr feine Antennen, um sich in diesem emotionalen Chaos zurecht zu finden, doch oft gibt es keine Logik und Schutz. Dieser Zusand ist nur durch Spaltung aushaltbar. Um weiterhin mit diesen verletzenden Eltern leben zu können, schafft sich das Kind mit Hilfe von Spaltung eine alternative Wirklichkeit. Ein idealisiertes Bild von liebevollen und treusorgenden Eltern. Die für das Kind schmerzhafte Realität wird ausgeblendet. In der Regel gibt es ja tatsächlich diese Parallelwelten: in vermutlich jedem Elternteil gibt es fürsorgliche und liebevolle Anteile, aber genauso gibt es strafende, verletzende und demütigende Anteile. Erst wenn wir uns unserem erlebten Schmerz stellen und Mitgefühl für uns selbst entwickeln, finden wir zurück zu einer gesunden Psyche.
Identitätsorientierte Psychotraumatherapie macht die eigene Identitätsentwicklung bewusst, deckt Überlebensstrategie auf,
hilft Spaltungen zu überwinden und Verstrickungen aufzugeben.
Psychische Spaltungen können in der Regel ohne therapeutische Hilfe nicht integriert werden. Unsere Überlebensmechanismen verhindern das, um nicht mit der Not, der Verzweiflung und der Todesangst in Berührung zu kommen.
Traumatherapie ist nicht lösungsorientiert. Man kann ein Trauma nicht auflösen. Zunächst gilt es die Realität anzuerkennen, so wie wir sie erlebt haben. Alles ist unser Leben, die schönen wie auch die schmerzhaften Erfahrungen. Eine stabile Identität und ein gesundes ‚Ich‘ zu entwickeln heißt, unsere abgespaltenen Anteile zu uns zu nehmen und wieder psychisch ‚ganz‘ zu werden. Bei diesem Prozess unterstütze ich Sie gerne mit meinem Wissen und meiner Erfahrung, damit Sie Ihre ganz eigene gesunde Identität leben können.
„Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antworten hinein.“
Rainer Maria Rilke
Ich freue mich von Ihnen zu hören!